Ein Erlebnisbericht von Simona Specker, Regie und künstlerische Leitung
Die Freilichtspiele in Rüthi 2023 waren nicht nur ein künstlerisches Grossprojekt, sondern auch ein echtes Abenteuer. Ein Abenteuer, das uns als Team, aber auch unser Publikum mit auf eine Reise durch schummrige Wälder, schaurige Erzählungen und schrullige Charaktere nahm.
Es war meine erste Produktion in der Rolle als künstlerische Leiterin. Die bekannte Erzählung des «kopflosen Reiters» mit ihrem düs- teren Grundton faszinierte mich schon seit Jahren – für mich stand daher schon früh fest: Diese Geschichte möchte ich auf der Freilichtbühne Rüthi zum Leben erwecken. Michael Rechsteiner stand mir als Autor zur Seite und hat die Geschichte, aber auch den Kern der Freilichtbühne und die Essenz, die sie ausmacht, perfekt erfasst. Weitere Figuren wurden dazu entwickelt, zusätzliche Handlungsstränge geschrieben und die ganze Legende in ein Rheintaler Dorf verlegt.
Immer unter freiem Himmel
Eine grosse Herausforderung – aber natürlich auch ein grosser Reiz der Freilichtbühne – ist das Wetter. Unsere Proben fanden sowohl unter praller Sonne als auch an kühlen oder nassen Abenden statt. Ich schätze mich glücklich, dass ich auf so viele langjährige routinierte Mitwirkende zählen kann, die auch unter harschen Bedingungen nicht mit der Wimper zucken. Immer an meiner Seite und eine unersetzbare Stütze: Elena Colaianni als Regieassistenz. Oft hatte ich das Gefühl, dass sie meine Gedanken lesen kann. Anweisungen aussprach, die sich in meinem Kopf gerade formten oder mir zum richtigen Zeitpunkt Raum verschaffte. Auch mein Vorgänger Kuno Bont war mir eine wichtige Hilfe. So konnte ich mich jederzeit mit Fragen an ihn wenden, von seiner langjährigen Erfahrung profitieren oder ihn losschicken, wenn ich bei dringenden Angelegenheiten in Zürich weilte und nicht weg konnte.
Beeindruckt hat mich auch das reiterische Können von Nanine Wüst, die die Titelfigur verkörperte. Ihr Pferd und sie bildeten ein grossartiges Team, das schon von der ersten Probe an wilde Verfolgungsjagden und hals- brecherische Wendemanöver so gut im Griff hatte, dass sich unsere gejagten Schauspielenden von Anfang an sicher fühlen konnten. Die Inszenierung wuchs, laufend fanden immer mehr Leute in verschiedensten Ressorts den Weg auf unseren «Spielplatz». Auch unsere Kulissen nahmen von Woche zu Woche mehr Gestalt an. Es war unglaublich zu sehen, dass Häuser, die man sich im wahrsten Sinne des Wortes nur auf einer Skizze ausgemalt hatte, plötzlich lebensgross vor einem standen.
Als nach einer etwa viermonatigen Probezeit der Tag der Premiere da war und ich mir oben vom Technikpult aus das ganze Spektakel ansehen konnte, war ich einfach nur überwältigt. Zwar müde, aber überwältigt! Das harmlos beginnende Stück spielte sich Szene für Szene hoch zu einem wahren Feuerwerk. Vor allem die imposante Szene, in der das Double des kopflosen Reiters seinen ersten Auftritt oben am Hügel hatte, wirkte einmalig. Die Silhouette des Reiters, geformt von Nebel und Licht, liess Vorstellung für Vorstellung auf der Zuschauertribüne unzählige Handys in die Höhe schnellen. Es war berührend zu sehen, wie das Publikum in die Geschichte eintauchte und die Atmosphäre so intensiv spürte, dass es manchmal für einen Moment den Atem anhielt.
«Wir hatten es geschafft, das Unheimliche zu transportieren, ohne es zu übertreiben.»
Die Kulisse und das Zusammenspiel von Nebel, Bewegung, Licht, Musik, Kostüm, Aus- stattung, Maske, Spezialeffekten, Reiterstaffel und Schauspiel entfachten ihren Zauber.
Raunen und Staunen
Ich muss zugeben: Zwischen all den organisatorischen und gestalterischen Aufgaben war ich manchmal ziemlich angespannt. Der Gedanke, eine so eindrucksvolle Geschichte zu inszenieren – und das so gross auf der weitläufigen Freilichtbühne – war ebenso aufregend wie herausfordernd. Gleichzeitig hatte ich die unerschütterliche Überzeugung, dass dieses Projekt ein Volltreffer werden würde. Und ich sollte recht behalten. Der Erfolg der Freilichtspiele 2023, die unzähligen positiven Rückmeldungen und die schönen Momente, die wir zusammen erschaffen und erlebt haben, lassen mich auch ein Jahr danach mit Stolz auf das Ergebnis blicken. Es ehrt und berührt mich, dass sich so viele wertvolle Menschen in so zahlreichen Aufgaben einsetzen, damit viele meiner Ideen Wirklichkeit werden können. Gerne würde ich an dieser Stelle jedem und jeder Einzelnen namentlich danken, doch das würde leider den Rahmen sprengen. Fühlt euch gesehen, geschätzt und gedrückt!
Ich bin dankbar für jede einzelne Vorstellung, für jedes Lachen, für jedes Raunen und Staunen im Publikum und für die unglaubliche Arbeit, die unser gesamtes Team vor und hinter den Kulissen geleistet hat. Nur zusammen sind wir Freilichtbühne! Merci! <3